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Als ich etwas poltern hörte, wusste ich, dass es nicht meine Schwester war. Sie würde sich bemühen, leise zu sein. Also war Mutter heimgekommen. Ich lauschte auf Stimmen oder Gekicher, aber außer einzelnen unsicheren Schritten hörte ich nichts. Wenigstens war sie allein, wenigstens das. Innerlich wappnete ich mich für das, was kommen würde. Gleichzeitig wusste ich, dass meine Erwartungen meist noch übertroffen wurden. Oder besser: untertroffen. Mutter wankte ins Badezimmer, schob sich an mir vorbei und setzte sich auf die Klomuschel. Sie sah beschissen aus. Verbraucht, betrunken. Eher wie fünfzig und nicht wie Mitte dreißig. An guten Tagen versuchte ich, Verständnis für sie aufzubringen. Mutter hatte es nicht leicht im Leben. Schwanger mit sechzehn, mit siebzehn das erste Kind-mich. Von meinem Vater bekam sie keine Unterstützung, ich kannte ihn nicht einmal. Ehrlich gesagt, wollte ich ihn auch nicht ken- nenlernen. Was musste das für ein Blödmann sein, wenn er seine schwangere Freundin im Stich ließ! Trotzdem hatte Mutter es eine lange Zeit geschafft. Geld hatten wir nie viel, aber das hatte mich nie gestört. Damals

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hatten wir noch viel Zeit  miteinander verbracht,
waren gemeinsam in den Park und auf den Spielplatz gegangen, hatten Waffeln und Gugelhupf zusammen gebacken. Jetzt fragte sie nicht einmal, wie es mir ging, dabei hatten wir einander seit fast zwei Tagen nicht gesehen. Ich stellte den Fön aus. »Wir haben nichts zu essen da.« Ich hoffte, zu ihr durchzudringen, und wusste gleichzeitig, wie sinnlos mein Unterfangen war. In diesem Zustand war Mutter alles egal. Und tatsächlich zog sie nur den Slip hoch, vergaß zu spülen und verließ wortlos und schwankend das Badezimmer. Mir war übel, als ich den Taster für die Spülung drückte. Wütend wischte ich Tränen von meiner Wange. Ich hasste mich dafür, immer noch enttäuscht zu sein, immer noch zu hoffen. Sie hatte nicht einmal geantwortet. 

Mit offenen Augen lag ich später im Bett. Das Fieber stieg wieder. Meine Zähne klapperten, ich fühlte mich elend. Mir war zum Heulen und ich fragte mich, ob es daran lag, dass ich krank war, oder daran, dass ich meine Mutter verabscheute. Vielleicht stimmte es ja doch, was ich gehört hatte, und duschen war keine gute Idee gewesen.

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