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Todeszeitpunkt festzulegen. Alles war bei einem so kleinen Kind schwieriger als bei Erwachsenen.
Nicht nur, weil es anatomische Unterschiede zu berücksichtigen galt. Sondern weil es auch ihm als Gerichtsmediziner, der immer wieder Kinder auf dem Seziertisch hatte, derart unnatürlich vorkam, dass ein Mensch so jung sterben musste. Verstand gegen Gefühl. Heinz schätzte sich durchaus als rational ein, meistens jedenfalls. Aber hier musste er darum kämpfen, sachlich und nüchtern zu bleiben. Er schob das Kleid hoch, hielt nach Striemen oder Flecken Ausschau. Auf den Beinen waren keine, auch an den Armen nicht, soweit er das erkennen konnte, ohne das Kind zu entkleiden. Und das würde er erst in der Gerichtsmedizin machen, um keine Spuren zu zerstören. Der Duft der Lilien verursachte bei ihm Übelkeit, und er konnte sich nun besser vorstellen, wie es Wagner jedes Mal ging. Vorsichtig drehte er den kleinen Körper um, tastete mit seinen behandschuhten Händen das Köpfchen nach Verletzungen ab. Nichts. Ihm war klar, dass er vor Ort nicht mehr herausfinden würde. An manchen Leichenfundorten war die Sachlage eindeutig. 

Ein zertrümmerter Schädel oder eine klaffende Halswunde ließen keinen Zweifel an der 

Todesursache.

 

Aber hier? Hier würde er nur mit einer Obduktion weiterkommen. Deshalb ordnete er mit einer Handbewegung an, dass die Leiche abtransportiert werden konnte. Laura Campelli fragte: „Bist du fertig?“Heinz nickte. „Der Platz gehört ganz euch. Vielleicht findet ihr ja etwas, das bei der Identifizierung hilft.“ Er zog seine Handschuhe aus und stellte sich zu Wagner, der ein wenig abseits wartete und dem Treiben zusah. „Wer tut so etwas?“, wollte sein Freund von ihm wissen. Er erwartete keine Antwort. Schließlich war es sein Job, eben das herauszufinden. Trotzdem sagte Heinz: „Vielleicht verzweifelte Eltern, die fürchten, niemand würde ihnen glauben, dass ihr Kind am plötzlichen Kindstod gestorben ist. Vielleicht ertrugen sie den Gedanken nicht, ihr Kind solle in einem dunklen Sarg in der Erde verscharrt werden.“ Wagner starrte ihn an. „Du glaubst anscheinend wirklich, dass es sich hier nicht um ein Verbrechen handelt.“ Die Skepsis in seinen

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