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Ich trank bereits die zweite Tasse Tee und überlegte meine nächsten Schritte. Immer noch schwelte die Wut auf Julia in mir, weil sie so dumm gewesen war, sich nicht abholen zu lassen. Ausgerechnet gestern wollte sie allein mit dem Bus fahren – und auch wenn ich nichts dafür konnte, das Ergebnis blieb gleich: Ich hatte sie allein gelassen. Diese Worte kreisten ständig durch meinen Kopf. Und immer wieder: Warum? Warum hatte sie sich nicht abholen lassen? Warum wollte sie alleine mit dem Bus fahren? Der Bus!Man müsste herausfinden, welcher Fahrer gestern Dienst hatte. Er würde sich an Julia erinnern können. Jeder, der sie einmal gesehen hatte, konnte sich an sie erinnern. Sie war hübsch und selbstbewusst. Sie hatte eine Ausstrahlung, um die ich sie beneidete. Ob ich am Sonntag jemand vom Busunternehmen auftreiben konnte? Wohl kaum. Trotz der Hitze bekam ich Gänsehaut. Ich legte beide Hände um meine Tasse. Sie war so heiß, dass ich sie sofort wie- der losließ und meine Finger rieb. Doch auch als ich einen Schluck von dem heißen Tee trank, konnte ich das klamme Gefühl in mir nicht vertreiben.

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Meine Blase machte sich unangenehm bemerkbar. Ich rutschte vom Barhocker und drängte mich durch das Lokal nach hinten, wo die Toiletten waren. Kaum zu glauben, aber es war innerhalb der letzten Stunde noch voller geworden. Die Klos im Grätzel wirkten total verlottert. Als ich es das erste Mal gesehen hatte, hätte ich am liebsten im Stand umgedreht. Aber der erste Eindruck täuschte. Innen in der Kabine war nämlich alles Hightech. Man drückte auf einen Knopf, der Sitz drehte sich einmal herum und wurde dabei desinfiziert. Im Klovorraum standen zwei Mädchen vor dem Spiegel. Sie schminkten ihre Lippen und trugen Kajal auf. Beide gingen auf meine Schule und wohnten in Kleinhardstetten, so wie Julia und ich. Ihre Namen fielen mir gerade nicht ein, aber sie kannten mich, denn eine von ihnen sprach mich an: »Theresa, ich habe gehört, du suchst deine Freundin. Ist das die Blonde mit der du immer zusammenhängst?« Ich nickte. Plötzlich schnürte mir die aufkeimende Hoffnung den Hals zu und ich hatte das Gefühl, kein Wort rauszubringen. »Schlimm. Ich habe ja mit meinen Eltern auch oft Zoff, aber abhauen käme für mich nicht infrage. Noch dazu im Winter.«

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